I’m just a simple man: Der Nachruf auf Klaus Nomi im »tip«

Monika Hempel hat ein wunderbares Buch über das erstaunliche Leben des Sängers Klaus Nomi geschrieben (Klaus Nomi – Stimme im Orbit; Verlag Andreas Reiffer, Meine 2024). Nomi gehörte zur ersten Gruppe der New Yorker Künstler, die an AIDS starben – er wurde nur 39 Jahre alt.

Bevor er 1973 in die USA übersiedelte, lebte und arbeitete er einige Jahre in (West-)Berlin. Dabei hat ihn vermutlich auch Barry Graves kennengelernt, denn in seinem 1983er Nachruf im Berliner Stadtmagazin tip führte Graves viele Details auf. Auch erinnerte er sich, ihn (da noch ohne Künstlernamen, also als Klaus Sperber) in Greenwich Village getroffen zu haben.

Der hier ungekürzt wiedergegebene, „feinfühlige“ (Monika Hempel) Nachruf ist noch aus einem Grund besonders lesenswert: Den letzten, sehr persönlichen Absatz wird Harald Keller 1994 wiederholen, wiederum in einem Nachruf, diesmal allerdings als Einstieg – für den verstorbenen Barry Graves.

Nachruf

Am 6. August starb Klaus Nomi in New York

Das letzte Mal habe ich ihn vor zehn Jahren irgendwo in Greenwich Village getroffen. Er hatte traurige Augen, sah abgemagert aus und klagte über den miesen Job als Tellerwäscher in einer italienischen Freß-Bruchbude. Eigentlich fängt ja so der amerikanische Traum vom Aufstieg zum Millionär an, doch Klaus war eher dabei zu verzagen: dermaßen erniedrigend hatte er sich seinen Start im gelobten Land denn doch nicht vorgestellt. ich bin ihm danach nie wieder begegnet. So viele kommen nach New York, hängen dann schwer durch und sind froh, wenn sie immerhin das Ticket-Geld für die reuige Heimfahrt zusammenkratzen können, damit ihnen der verzweifelte Trip auf einer Überdosis irgendwas erspart bleibt. Die mörderische Traum-Karrieren-Stadt fordert ständige Bewegung. Wer sich da hinter’m Spülbecken eingeklemmt vorkommt, kann leicht ausrasten. Als ich viele Jahre später mal bei Fiorucci’s auf der schicken oberen East Side durch die flippigen Fummel-Etagen driftete, entdeckte ich auf einem Karussell mit überschrägen Postkarten ein Gesicht, das ich eigentlich schon fast vergessen hatte: Klaus Nomi, die Kultfigur der elegant überdrehten New Wave-Bälger, die vom Gammel-Schuppen Max’s Kansas City bis zum Rock-Dorado Mudd Club eine meilenlange Koks-Spur durch downtown Manhattan zogen. Ich fragte Burghard, der auch aus Berlin fortgegangen war und nun in SoHo Grace Jones, James Caan und Debbie Harry schrill einkleidete: Das also war aus Klaus Sperber geworden, der Ende der sechziger Jahre von Essen nach Berlin umzog, als Re-Inkarnation der Callas in der Musikhochschule nicht landen konnte und dann an der Deutschen Oper hauptberuflich die Türen auf- und zuklappte, um der geliebten Musik wenigstens auf diese Weise nah zu sein. Hin und wieder sang er im „Kleist Casino“ vor veralberten Jünglingen, die seinen Primadonna-Vortrag bejohlten und es wohl im Grunde lieber gehabt hätten, wenn irgendein oller Transvestit aus dem „Chez Nous“ zum Zarah Leander-Gesang von Band seinen Mund auf- und zugeklappt hätte. Berlin tut oftmals nur so als ob im Grunde sind zu viele hier spießig, im Ungewöhnlichen gleich das Bewundernswerte zu entdecken. Da saß der unverstandene Klaus über’m damaligen Prä-Popper-Treff „Mini Metro“ in seinen Zwanziger-Jahre-Möbeln und erinnerte sich: „Ich war 12, als ich Elvis Presley’s ‚King Creole‘ kaufte. Das Geld hatte ich von meiner Mutter geklaut. Sie kriegte die Sache raus, und da sie ohnehin Rock’n’Roll haßte — wie wohl die meisten Eltern damals —, brachte sie die Platte in den Laden zurück und kaufte irgendwas von Maria Callas. Das zündete in mir. Ich sagte mir: Okay, auch gut. Solange es Musik ist‘ …“

Die große Geste der klassischen Opfer: intensiv ausgelebte Gefühle, weitausladendes Gebärdenspiel — Drama und Ekstase aus dem Orchestergraben über die Bretter gewirbelt. Diese „power“ mit dem Rock-Gefühl der neuen Zeit fusioniert: mußte das nicht eine durchschlagende Reaktion ergeben? Klaus Sperber stilisierte sich in der Stadt, wo alles erlaubt ist und gefordert wird, zum Klaus Nomi, mit einem Wort-Puzzle aus dem lateinischen „omni“ — „alles in einem“. Der Linksaußen der Gegenkultur, streng auf Hyper-Künstlichkeit verdesigned, mit seinem schwarzen Herzmund im weiß-gekalkten Gesicht und der „Post-Kabuki-Frisur“ („Rolling Stone“) wie ein Samurai auf LSD, wie ein intergalaktischer Pierrot, wie eine High Tech-Primadonna. Er ließ sich in bizarren Off-Off-Showunternehmungen sehen wie der „Ridiculous Theatrical Company“ oder „Mr. Mike’s Mondo Video“, wurde von Andy Warhol’s „Interview“ der schicken Clique offeriert und tauchte in der NBC-TV-Satire-Show „Saturday Night Live“ als visueller Zulieferer in einem David Bowie-Gast-Spot auf: „Ashes to ashes, funk to funky…“. Nomi war plötzlich „visible“, auf Millionen Bildschirmen, im Transit vom Dunstkreis der Kult-Cabarets zum Overground der Plattendeals und Showauftritte. Zwei LP’s konnte er machen, in Frankreich liebten ihn die Musik-Freaks besonders; der RIAS machte immerhin eine Dreiviertelstundensendung mit ihm live aus New York. Das ist nicht einmal ein Dreivierteljahr her: doch da war er schon unheilbar krank ohne es zu wissen. Als ein Berliner Freund ihn vor ein paar Wochen das letzte Mal sah, hatten die Flecken des Kaposi-Krebs-Syndroms sein Gesicht bereits gezeichnet. Er war zu schwach, aufzustehen und besaß nicht einmal das Geld, seiner Mutter in Deutschland telefonisch von seinem Leiden zu erzählen. Sein betrügerischer Manager, so klagte er, hatte ihm von den doch reichlich verkauften Platten und gut besuchten „gigs“ nicht einen cent gelassen; die Nachbarn in seinem Haus auf der Lower East Side hielten gegenüber dem AIDS-Kranken mißtrauische Distanz. „Ich habe kaum Drogen genommen — höchstens mal einen Joint hin und wieder wie jeder andere auch —, und zur Promiskuität hatte ich gar keine Zeit; meine Karriere war mir alles,“ erzählte er dem Freund, als müsse er sich dafür entschuldigen, daß die furchtbare Krankheit auch ihn getroffen hat — kein Wunder bei der Hysterie von Öffentlichkeit und Medien in der USA. Er bekam Interferon-Infusionen, hin und wieder schaute eine Krankenschwester nach dem Hilflosen. Berliner Freunde sammelten noch in den letzten Wochen 700 Dollar, damit er sein Leben nicht in entwürdigenden Umständen beenden mußte. Er hatte immer noch Pläne; ein Projekt mit Eberhard Schoener nächstes Jahr in München, vielleicht eine neue Platte in jener bizarren Mischung aus Barock-Opern-Arien, Dietrich-Schlagern und New Wave-Rock’n‘ Roll. Er wirkte seit jeher fragil, wie ein schillernder Schmetterling, wie eine psychedelische Porzellan-Malerei; man hätte annehmen können, daß er eines Tages wie ein bunter Traum zerfließt, aber nicht, daß ihn eine tückische Tropen-Seuche auf demütigende Weise entstellt.

Das ist die Tragik des Sterbens im New York dieser Tage: der Tod ist dein Disco-Flirt, dein Sparrings-Partner beim Body Building, deine Ballerina beim Pas de deux. Einfach so, mitten in der Vitalität, Kreativität und Lebenslust — schnell, gemein und qualvoll. Es ist schon ganz schön entsetzlich, das mit ansehen zu müssen. Barry Graves

QUELLE: tip, 18/1983, S. 78

Nachruf auf Klaus Nomi im tip, geschrieben von Barry Graves.