Im Wortlaut: Die Abrechnung mit den Kritikern des Rock-Lexikon

Im Wortlaut: Die Abrechnung mit den Kritikern des Rock-Lexikon

Für diejenigen, die es live gehört haben, bleibt es wohl eine Radiosternstunde ihres Lebens. Barry Graves, Mitautor des gerade in einer zweibändigen Ausgabe neu erschienenen Rock-Lexikon, stellte in einer einstündigen Sendung auf SFB2 die Reaktionen vor, die das Nachschlagewerk in der Presse erhalten hatte. Und nahm gleich höchstselbst dazu Stellung. Getreu dem Motto „Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil.“ ging es richtig zur Sache, die teils sehr persönliche Attacken und Nörgeleien der Buchrezensenten beantwortete Barry Graves entsprechend bissig und wortgewaltig.

Leider ist die Sendung, in der auch Hörer anrufen konnten, nur in Bruchstücken erhalten. Genauer gesagt kennen wir nur den Mittelteil. Dieser kann hier dank KI-Unterstützung nun in Textform wiedergegeben werden. Zu besseren Lesbarkeit wurden einige unverständliche Passagen bzw. erkennbare Versprecher weggelassen. Der spontane, monologartige Charakter sollte aber weiterhin gut erkennbar sein. Als Sendetag wird der 27. April 1990 angenommen. Das war ein Freitag, es läge also nahe, die Sendung in die gewohnte Soundcheck-Schiene und seiner wöchentlichen „Countdown U.S.A“-Sendung zu verorten. Es besteht aber auch die Möglichkeit, dass es eine einstündige Sondersendung am Vorabend gab. Übrigens: Wer sich für die Rezensionen interessiert, die Barry Graves so in Wallung brachten, sollte hier wieder vorbeischauen – sie werden demnächst auf dieser Webseite nachlesbar sein.

[BG] … eine liebe Kollegin hat gerade gerügt: sie findet es okay, dass ich mich verteidige. Verteidigen ist viel zu hoch gegriffen. Aber hat gerügt, dass ich da irgendwelche Leute Frettchen genannt habe. Ich glaube nicht, dass ich sie da entmenschlicht habe. Wenn jemand ein Ratefuchs genannt wird, ist er ja auch nicht entmenschlicht worden. Also das muss man … und sie hat gerade das Tier Frettchen charakterisiert als mies und niedrig und schäbig. Und genauso haben sich die Leute verhalten. Aber wenn das jemand irritiert, gestört haben soll, so war es nicht gemeint. Die Menschen bleiben trotzdem Menschen und die Tiere bleiben Tiere. Das habe ich nicht miteinander vermischt und darum ging es eigentlich auch gar nicht. Aber es ist schon ganz okay. Präzise Wortwahl muss sein.

[BG] Und da sind wir auch schon gleich wieder beim Thema – übrigens 30 20 20 ist die Nummer. Wenn Sie was zu diesem Thema zu sagen haben oder zum Rock-Lexikon, zu Elvis, zu was auch immer. Aber erst mal will ich noch was erzählen.

[BG] Da ist jemand, da schreibt zum Beispiel, das sind so typische Dinge, da schreibt ein Kritiker vom Ultimo, ein Stadtmagazin aus Münster. „Ich wusste bislang nicht, dass es sich bei Devo um eine New Wave-Version von Kiss handelte oder dass Peter Maffays Begleitband nach Lovin’ Spoonful und Byrds klang.“ Also ich hab da mal gleich nachgeguckt, wie denn das geschrieben ist: „Devo traten als ironisch-infantil überzogene New Wave-Version von Kiss in Erscheinung“ und dann ist die Rede von ihrem outrierten Image usw. Die Band hat selbst gesagt, dass sie sich als so etwas verstehen. Natürlich nicht musikalisch, sondern als ein Ensemble, das irgendwie in einer schrägen und verrückten Weise sich so kostümiert und zurechtmacht. Nur so war es gemeint. Es wird natürlich beim Gegenüber dem Leser suggeriert, die wären so was wie Kiss, eben halt mit nem New Wave-Touch. Und die haben ja von Musik keine Ahnung, die Typen, die das geschrieben haben. Und Peter Maffays Begleitband: Da heißt es „Maffays Band orchestrierte sich vorzugsweise mit 60er Jahre-Klängen a la Rolling Stones, Kinks, Lovin’ Spoonful, Byrds“, weil Zitat von Maffay „Da meine musikalischen Wurzeln liegen, von denen ich mich eigentlich nicht wegbewegen möchte“. Ich dachte immer, dass wenigstens der Künstler selber wissen muss, von wem er sich inspiriert fühlt und nach wem er seine musikalischen Dinge ausrichtet. Aber das wird dann unterstellt den Autoren, sie wüssten nicht, was läuft.

[BG] Wollen wir doch mal hören, wer hier ist. Guten Abend, hier ist Barry Graves.

Ja, hier ist Andre. Hi! Ich wollte nur ganz einfach sagen. Dass ich es irre gut fand, dass du da mal über die Typen hergezogen bist. Also, mir geht es auch häufiger so, dass ich zum Beispiel irgendeine Kritik über irgendeinen Film lese und dann hinterher aufgrund dieser Kritik in den Film gehe und mich dann wahnsinnig drüber aufrege, was der darüber zusammengeschrieben hat. Und dann wünsche ich mir manchmal auch, dass ich irgendwie die Möglichkeit hätte, diese Typen dann halt einfach, ja so auf die Art und Weise anzumachen, wie du es eben gemacht hast.

[BG] Weißt du Andre, ich muss dazu noch sagen: Wenn du meine Sachen im tip liest, ich bin ja auch jemand, der ganz gerne austeilt. Aber ich glaube, insofern bin ich auch bereit einzustecken. Aber ich glaube eigentlich, dass ich mich schon an Fakten halte. Was mich da wirklich geärgert hat, weil ich mir sagte „Da kannst du’s mal entdecken und aufdecken.“, in vielen anderen Fällen weiß man es ja nicht, weil man selber nicht drinsteckt. Ist ja, dass die Leute, wenn Ihnen nun wirklich keine sachliche Kritik einfällt, dann müssen sie zu Lügen und Schwindel-Geschichten greifen. Das ist eben das Ärgerliche.

Ja, ja, sicher. Ja, das ist auch ärgerlich, das stimmt ja. Aber ich meine ganz einfach nur ganz, ganz generell halt dieser, dass man halt als Leser solcher Zeitschriften halt auf diese Kritiken angewiesen ist und dass man sich halt oder ich besonders mich da ganz oft drüber ärgere, was da an sich fürn Schwund geschrieben wird. Also selbst mal vorausgesetzt, dass die Leute nicht lügen und nicht schwindeln. Ist halt jede Menge Scheiß dabei.

[BG] Da hast du recht. Ich dank dir. Tschüss.

[BG] Ich meine, da kenne ich nun wirklich keine Scheu, also diese Dinge anzuprangern, selbst wenn ich da irgendwie mit Partei bin. Denn ich finde, also journalistische Ethik, so wie sie zum Beispiel der Chefredakteur vom Tagesspiegel Günter Matthes versteht. Die erwarte ich zum Beispiel auch auf anderen Seiten des Tagesspiegel, für die Herr Matthes, nicht unmittelbar verantwortlich ist. Das nur mal dem Herrn Geisenhanslüke noch mal gesagt.

[BG] Aber genauso ist es natürlich mit Hans-Jürgen Günther vom tip Magazin. Das ist nun nen Kollege, der im selben Magazin schreibt wie ich. Ja, meinen Sie, der hat es im Gegensatz zu vielen anderen Journalisten aus Westdeutschland – der ja nun in derselben Stadt wohnt, nur 23 Pfennig für ein Telefongespräch ausgeben muss – der hat es für nötig gehalten, vielleicht mal irgendwie anzurufen, wenn ihm irgendwelche Dinge an dem Buch komisch vorkamen, oder merkwürdig oder irritierend? Nix. Er hat seine Rezension geschrieben, ohne anzurufen. Entsprechend ist sie denn auch ausgefallen. Da fängt er also an, Zeilen zu zählen. Wie kann es denn sein, dass die Everly Brothers, die so unheimlich wichtig sind, 66 Zeilen haben? Und Joy Fleming, die hat so viel mehr und die ist doch nicht so wichtig und ist doch schon alles sehr merkwürdig usw. Also was Schwachsinnigeres kann ich mir gar nicht vorstellen. Ein Typ wie Van Morrison zum Beispiel, sicherlich ein wichtiger Künstler. Ist ein karger Typ, hat keine große Lebensgeschichte, also erzählt man das was zu erzählen ist und kommt auf eine relativ kompakte Form. Während so jemand wie Ozzy Osbourne natürlich kein super wichtiger Musiker ist, im Vergleich zu Morrison, aber natürlich mit abgebissenen Rattenköpfen usw. und seinen ganzen outrierten Bühnengeschichten, hat er natürlich ne phantastisch ulkige Lebensgeschichte. Auch das ist ja Rock ’n‘ Roll. Und entsprechend wird die Biographie länger. Das sagt doch nichts über die Wichtigkeit aus. Aber das sind ja diese Typen. Sie zählen Zeilen. Sie blättern das Buch durch, ob denn ihre Lieblingsgruppen, die sie in ihren kleinen Kritiker-Fetteckchen so toll finden, drin sind. Und dann wird mir vorgeworfen, das Buch sei doch völlig verkalkt und hirnrissig. Da sind ja wichtige Gruppen wie Giant Sand, No Means No nicht drin. Hans-Jürgen Günther versteigt sich sogar zur Behauptung, wieso eine wichtige relevante Gruppe wie Soundgarden nicht drin sein könnte. Stattdessen aber so was wie die Ink Spots und John Coltrane und Charlie Parker.

[BG] Also wissen Sie, wer so was schreibt, der sollte eigentlich den Griffel abgeben. Also erst einmal Soundgarden, als ein schwermetallener Krach-Scheißdreck aus Los Angeles. Also ich habe mir die Platte mal gekauft, weil ich mal hier eine New Wave-Hitparade machte in einer dieser Countdown-Sendungen. Und ich fand also wirklich, da ist nichts an dieser Gruppe in irgendeiner Weise neu, also neu schon mal sowieso nix, wo man sagen könnte, eigene Nische muss eine Biografie haben und toll ist och nichts. Und die Ink Spots ist das wegweisende schwarze Ensemble der 40er und 50er Jahre, an dem sich alle schwarzen Vokalgruppen von Motown, Atlantic, Stax usw. orientiert haben. Und wenn man nachliest, mal im Lexikon, wie viele Musiker der Rockszene sagen, dass sie von Charlie Parker und John Coltrane beeinflusst sind – ist ne Legion. Und wenn dann ein Kritiker eines großen deutschen Stadtmagazins, was ja tip sein will, nicht begreifen kann, warum die Ink Spots und Parker und Coltrane drin sind, finde ich das schon einigermaßen triste.

[BG] Denn ich meine, man sollte doch wenigstens die Rockhistorie kennen und nicht sich einbilden, dass jeder Rockmusiker, der heute auf den Plan tritt, sich aus sich selbst erfindet. Natürlich haben die nach hinten gehört. Und damit ist das auch gar kein Problem, in dieser Platte „The Last Temptation of Elvis“ vom New Musical Express ne ganze Menge Stars zu finden. Man sagt: „Wie können die denn eigentlich ein Elvis-Lied singen?“, „Was haben die denn mit Elvis zu tun?“ usw. Die haben ja auch mal nach hinten gehört und sich von irgendwas anregen lassen. Irgendwie hat sie mal eine Platte auf den Trab gebracht und sie haben gesagt „Mensch, also so möchte ich auch mal Musik machen oder so möchte ich nicht Musik machen. Als Antithese dazu verstehe ich meine Musik.“ Und natürlich haben Sie in die Vergangenheit gehört. Das ist ja das Interessante.

[BG] Keiner dieser Kritiker vermisst Bands aus den 40er, 50er, 60er, 70er Jahren. Sie vermissen alle nur irgendwelche Bands aus den 80er Jahren, weil sie wahrscheinlich den Rest der Rockgeschichte gar nicht kennen.

[BG] … es war gerade noch ein Hörer dran, der sagte, dass in einer Zeitschrift auch positive Kritiken … natürlich gab es auch positive Kritiken. Ist ja nicht so, dass ich jetzt hier lamentierend und weinend und zusammenbrechend sitze. Mein Kollege Sigi Schmidt-Joos, der ein bisschen reiferer Typ ist als ich, der sieht das ganz lässig und sagt „Hauptsache, unsere Namen sind richtig geschrieben“. Und natürlich wissen wir auch, dass negative Kritik auch ne Verkaufshilfe ist. Also das ist gar nicht das Problem.

[BG] Aber ich sage noch mal, um das wirklich zu klären – wir haben gleich noch einen Anruf – dass es nicht darum geht, hier irgendwie zu jammern. Da hat jemand irgendwie das Business verdorben. Das wäre also der völlig falsche Ansatz. Sondern es geht wirklich darum, dass man mal klar macht, was eigentlich hier für eine Branche Rockkritiken schreibt.

[BG] Die interessantesten Kritiken kamen übrigens von Lesern. Das ist ja fast schon peinlich, also von Amateuren oder Nichtprofis, wenn man so will. Die haben durchaus gesagt, das war nicht richtig oder das war nicht okay. Oder warum fehlt denn die Gruppe? Die haben uns auch gemeckert, so ist es nicht und das finde ich auch okay und das kann ich auch vertragen. Aber die haben auch wirklich anerkannt, was anzuerkennen ist. Guten Abend, hier ist Barry Graves…

Ja, Guten Abend. Ich bin Manuela.

[BG] Manuela. Hallo.

Ich habe nur ne Frage. Und zwar: Ich habe jetzt schon viel über Ihr Rock-Lexikon gehört, also von ihm. Und es sind immer viele Namen gefallen. Aber ich habe mal ne Frage: Ist auch der Künstler dabei, der in den 80er Jahren die meisten Schallplatten verkauft hat?

[BG] Wer sollte das sein? Es könnte ja nur Michael Jackson sein.

Ja.

[BG] Na der ist drin. Ich meine, das ist doch interessant, Manuela. Wenn solche Leute fehlen würden – Michael Jackson, Madonna, Prince, dann könne ich verstehen, dass Leute sagen, das Buch kann man in Mülleimer schmeißen. Aber die Gruppen, die also wenn man alle Kritiken zusammenrechnet und man sieht, wer denn was vermisst. Dann vermissen also eine ganze Reihe von Leuten von diesen Kritikern die Gruppe The Fall. Kennen Sie die?

Ja vom Hören, aber direkt, also mehr auch nicht.

[BG] Ja. Also da kann man nun sagen, okay, hätte vielleicht drin sein sollen oder so, aber ich meine, das macht ja nun wirklich ein Buch nicht gerade unwert, aber Michael Jackson ist drin und sogar mit glaube ich drei oder vier Spalten. Sind Sie ´n Fan von Michael Jackson?

Jaaah.

[BG] Aber dann hätte Sie das natürlich ganz schön enttäuscht, nicht? Wenn der nicht drin gewesen wäre. Janet Jackson ist übrigens auch drin.

Aha.

[BG] Sind Sie auch ein Fan von Janet?

Na mir ist das Original Michael lieber.

[BG] Hoho, was heißt denn „Original“? Das wird aber Janet gar nicht gerne hören.

Dann soll sie sich doch etwas anders gestalten.

[BG] Ich habe sie jetzt im Konzert erlebt. Es ist wahr: sie tanzt ein bisschen mit Schritten manchmal, die sie ihrem Bruder abgeguckt zu haben scheint. Aber ihre Musik ist doch eigentlich schon ganz eigenständig.

Na das hat sie dem Jimmy Jam und Terry Lewis zu verdanken. Den Produzenten.

[BG] Sie kennen sich aus. Die Janet kann ihnen nix vormachen. Okay. Schönen Abend noch. Tschüss.

Ja, danke. Tschüss.

[BG] Nee, es ist wirklich wahr. Das ist das eigentlich Ärgerliche, dass diese Kritiker, also ich will sie gar nicht mal Neid zerfressen nennen, das wäre ja auch wieder so eine Unterstellung. Obwohl sicherlich ne ganze Menge von ihnen das Buch auch gerne selber geschrieben hätten. Guten Abend, hier ist Barry Graves. Der legt auf den Hörer.

[BG] Aber es ist eben doch so. Es sind so esoterische Ecken, da werden so Grabenkämpfe aufgemacht, da gibt es so Fronten und Fronden usw. Und wenn sich da jemand nicht, also diesen modischen Trends anbiedert. Jetzt hören Sie mal, diese Leute sind ja in ihrem Gewerbe drin, in ihren Stadtzeitschriften oder im stern oder in Spex oder in Tempo. Die müssen doch immer neuen Trends nachspüren. Was hat zum Beispiel ein Typ geschrieben, hier in der Szene Hamburg, dem Hamburger Stadtmagazin? Ich hätte die innovativen Tendenzen der jüngsten Popgeschichte ignoriert, zum Beispiel „Electronic Body Music“. Also ich habe nun wirklich nachgeguckt – ist mir völlig unbekannt. Aber das mag natürlich irgendwann mal von einer Plattenfirma als Trend ausgegeben worden sein. Bloß aus dem Grunde schreibt man keen Rock-Lexikon, um irgendwelchen Trends oder Slogans, die Plattenfirmen ausgeben. Synthiepop sei also auch ignoriert worden von mir, obwohl alle möglichen Synthiepop-Gruppen oder -Solisten drin sind, von Jean-Michel Jarre bis Vangelis bis zu Depeche Mode usw. DAF, das kann man vielleicht auch noch dazurechnen. Also alle Gruppen, die sich nur mit Synthesizern beschäftigt haben. Aber das Lesen kann ich ja den Leuten nun nicht beibringen, das müssen die Kritiker schon selber.

[BG] Und dann kommen dann so Sachen raus, dass es dann heißt „Fakten vom Pfuscher“ in irgendwelchen Lexika und was dann alles… Also ich will Sie gar nicht langweilen damit. Es ist jedenfalls schon bezeichnend. Und wenn ich dann mal überlege, was ich mir so im Bereich des Films manchmal an Kritiken lese, da ist es ja genauso. Also das, das wirft eigentlich schon ein betrübliches Licht auf diese Kritikerzunft.

[BG] Ich erwarte also auch täglich – von meinen Intimfeinden bei der taz – eine verheerende Kritik über das Rock-Lexikon. Vom Spex ist sie ja schon geliefert worden. Kein Wunder, weil ich über Spex mal geschrieben habe, dass sie sich eines rassistischen Vokabulars bemühen oder eines rassistischen Vokabulars bedienen. Mein Deutsch wird schon immer schlechter. Weil sie nämlich dauernd von „Negern und Negermusik“ und „der macht in dem Plattenladen die Neger-Abteilung“ schreiben usw. Und das habe ich in einer überregionalen Zeitung geschrieben und na ja, dann ist die Rache natürlich fällig. Ist völlig klar. Solche Dinge kann ich verstehen. Und dafür war die Kritik in Spex eigentlich noch ganz zivil.

[BG] Aber es ist natürlich, und wenn die Leute dann nun gar nichts mehr wissen, was sie denn gegen einen vorbringen kann, dann gucken sie vorn im Impressum nach. Wann man denn geboren ist und sagen „Na klar, ist ja keene 20 mehr. Total verkalkt“. „Verkalkt“ war die Überschrift zum Beispiel in der Zeitschrift Ultimo von Münster. Da hieß es „Kein Zweifel, hier handelt es sich um verkalkte Musikjournalisten, die Musik in einer altklugen Art und Weise goutieren, welche etwas von dem verkrampft zappelnden Tanzstil ältere Leute hat, die zu den neuesten Musiktrends tanzen.“ Ist ähh ganz ulkig geschrieben. Man lacht sich einen. Aber da ich den Typen nie getroffen habe, kann ich das nur zur Seite legen und mit den Schultern zucken. Also das war schon ne merkwürdige Sache.

[BG] Genauso der Hans-Jürgen Günther vom tip Magazin. Wirft mir vor, dass ich den drittwichtigsten Country-Neuerer, nämlich Dwight Yoakam, nicht drin habe und übersieht ganz, dass der wichtigste, nämlich Randy Travis im Buch ist. Derjenige, der wirklich die Preise bekommen hat, derjenige, der wirklich die meisten Platten verkauft, derjenige, der wirklich die Szene stilistisch anregt. Also das halte ich doch schon für ne ganz wichtige Sache.

[BG] Aber es ist auch wirklich typisch: Diese ganzen weißen Kritiker vermissen weiße Bands. Der vom Spiegel hat sich ja, Wolfgang Höbel heißt er, hat sich sogar am Telefon mir gegenüber zur Behauptung verstiegen, er sei sich eigentlich gar nicht so sicher, dass schwarze Künstler so viel kreativen Einfluss in den 80er Jahren ausgeübt haben. Und so ein Typ sitzt bei einem so wegweisenden Magazin wie Der Spiegel – an führender Stelle. Traurig, traurig.

[BG] Die weißen Kritiker vermissen weißen Rock. Und was kann man ihnen da raten? Man kann nur raten: Wenn Sie denn unbedingt den weißen Rock vermissen, dann lassen Sie sich doch um Gottes Willen Ihr nächstes Rocklexikon vom Ku-Klux-Klan, der National Front oder den Republikanern schreiben!

[BG] Jetzt habe ich hier einen Hörer dran. Jetzt bist du schon, glaube ich, auf der Welle. Ja, Warte mal, ich muss mir jetzt gerade mal den Kopfhörer aufsetzen, damit es nicht piept. Ja, du hast gerade in ner Diskussion, während von Aaron Neville „Young and Beautiful“ lief, natürlich aus einem Elvis-Film, gesagt: Also Soundgarden ungerechtfertigt angemacht worden.

Ja. Ja, ich habe mich ein bisschen… ich habe im Auto zufällig zugeschaltet und habe diesen Verriss über Soundgarden gehört. Hörte sich alles ziemlich frustriert an von dir. Du hast offensichtlich ganz schön was einstecken müssen von deinen Kritikern.

[BG] Nein, also Kinder, ich kann mich nur wiederholen. Aber da wird es ja noch peinlicher, wenn ichs dauernd wiederhole. Man ist ja nicht frustriert, wenn man mal sagt: Wenn ihr austeilt, ich teil wieder zurück aus. Das frustriert wäre, wenn ich hier sitze und greinen würde. Oder sagen „Wer kauft mein Buch?“ oder sowas. Das wäre wirklich kindisch. Aber ich meine… du, das sehe ich ganz cool: Also wenn die glauben, sie können ihr Medium benutzen, um da irgendwelche Geschichten loszuwerden, na da weiß ich mein Medium och zu benutzen.

Das ist legitim, ja. Nur eben, ich habe auch keine Platte von Soundgarden zu Hause. Nur ich sehe eben diese Band so in einer Linie mit Bands wie Living Colour, Red Hot Chili Peppers, Faith No More, solche Bands, die ich wirklich gut und für gut und innovativ halte. Ich weiß nicht, ob du diese, zum Beispiel Living Colour ist wirklich eine gute Band….

[BG] … die auch im Rock-Lexikon drin sind.

Ich kenn das Buch nicht.

[BG] Also ich meine, nun heißt das ja nicht, dass deshalb eine Band automatisch gut sind. Also da sind auch Leute drin, die nichts taugen. Weil sie aber irgendwie ne Rock…. Aber ich meine, gerade wenn man Living Colour nimmt, dann merkst du da wirklich eine gewisse Kreativität, Einfallsreichtum, Virtuosität im Umgang. Während ich bei Soundgarden nur ein idiotisches Genudel finde. Ich weigere mich auch immer zu sagen – das ist alles Geschmackssache. Es gibt schon gewisse Qualitätskriterien und die meiner Meinung nach Soundgarden nicht erfüllt.

Und was natürlich bei Hans-Jürgen Günther noch dazu kommt vom tip: die Band Soundgarden ist einfach viel zu neu, um überhaupt in diesem Buch drin zu sein. Und es wird natürlich ganz schlimm, wenn man sie aufrechnet gegen so klassische, unverzichtbare Bands wie die Ink Spots oder eben solche beeinflussenden Musiker wie John Coltrane und Charlie Parker. Dann wird es einfach peinlich.

Gut, muss ich dir muss ich dir zu einem gewissen Grade Recht geben.

[BG] Okay?

Da Living Colour drin ist, bin ich zufrieden.

[BG] Na bitte. Was willst du mehr? Tschüss.

[BG] Ja, ich gebe zu, das ist immer gleich, dass Leute sagen: Ja, du jammerst ja bloß rum, weil lediglich auf den Schlips getreten fühlst. Gar nicht. Also, man muss auch mal Kontra geben können, ohne dass man gleich irgendwie auf die Psychiater-Couch gehört.

[BG] Also das glaube ich schon. 30 20 20, wenn Sie vielleicht auch was zum Thema Elvis und was Sie bisher so von Elvis gehört haben heute Abend zu sagen haben. Oder vielleicht auch zu der LP, die wir die ganze Zeit hier so durchnudeln – „The Last Temptation of Elvis“ Wo also eine ganze Menge Stars was singen. Gleich haben wir ein „Viva Las Vegas“-Triple Play, bei dem sich Nina Hagen, die Residents und Bruce Springsteen betätigen. Jeder liefert seine Version von „Viva Las Vegas“ ab. Und hier noch ein Hörer dazu oder eine Hörerin. Guten Abend.

Ja, hallo, hier ist der Volker. Ich habe auch noch mal eine Detailfrage zu deinem Rock-Lexikon. Und zwar hattest du Sigue Sigue Sputnik auf der einen Seite und Siouxsie and the Banshees. Die beiden Artikel waren ungefähr gleich lang gewesen, da habe ich mich die ganze Zeit gefragt: Na ja, was soll das? Weil Sigue Sigue Sputnik, das war ja nun ja, mit viel Geld aufgeblasen. Während Siouxsie ja nun über zehn Jahre oder noch länger eigentlich doch dann so ein relativ wichtiges Element in der englischen Musikszene gewesen ist.

[BG] Ja, was soll was?

Ja, pardon, beides war gleich lang gewesen.

[BG] Jetzt fängst du auch an zu zählen! Ich würg dich gleich durchs Telefon…

Ich hab mich drüber schlapp gelacht, als der im tip angefangen hatte herumzuzählen. Und da dachte ich auch „Ja, holla, das ist ja noch mehr Leuten irgendwie aufgefallen“.

[BG] Ja, aber hier haben wir doch den gleichen Fall. Wo man es gut erklären kann. Die Sigue Sigue Sputnik sind natürlich drin. Als so ein typisches Beispiel des 80er Jahre Medien-Overkills, der eigentlich nirgendwohin führt. Also das ist ja wirklich eine, die sind ja ein Phänomen, ein Symptom, eine Ausgeburt, kann man so sagen, der 80er Jahre Video-Ära. Und sie haben natürlich ne ganze Menge interessanter Geschichten, wie sie das da aufgezogen haben, was sich da tat und was da was für Medien-Klamauk war und Hype und Überdrehtheit. Und das zu beschreiben kostet natürlich Zeilen. Das heißt ja aber nicht, dass die Band deshalb wichtig ist. Wenn als wenn natürlich Sigue Sigue Sputnik so lang gewesen wären wie die Biographie der Beatles, dann hättest du zu Recht nen Einwand. Aber das hält sich ja wohl doch noch irgendwie in Grenzen.

Ja, das fiel eben gerade im Gegensatz zu Siouxsie auf. Ich habe es mir nun durchgelesen, ich habe das Buch mal ganz nebenbei mal irgendwo gefunden, mal kurz reingeblättert. Insofern kann ich da im Allgemeinen nicht viel zu sagen. Bloß das speziell, dass was zu Siouxsie stand eben sehr oberflächlich war und vielleicht gerade so die wichtigsten zwei, drei Sachen und noch ein paar Platten aufgezählt und auch eine Kritik und das war’s dann aber auch schon wieder.

[BG] Na also, jetzt bin ich gerade mal am Blättern. Du hast mich ja mit diesem Siouxsie-Dings überrascht. „Zwei, drei Sachen aufgezählt“.

Eine Spalte ungefähr war es glaube ich, wenn ich mich noch recht erinnere.

[BG] Ja, aber wenn doch dann die Biographie eines Künstlers trotzdem abgehandelt ist? Entweder du vermisst was oder du vermisst was nicht. Es waren übrigens zwei Spalten. Dann reicht’s doch.

Ja, also ich fands nun ja irgendwie nicht so befriedigend, weil ich nun eben Siouxsie ja nun doch relativ gut finde und auch relativ wichtig. …

QUELLE: privater Mitschnitt, Sendedatum: 27.4.1990; SFB2 (Ausschnitt)